22 Uhr: Immer nach Hause
„Wenn wir etwas über einen Menschen wissen wollen, fragen wir „Was ist seine Geschichte? – seine wirkliche, innerste Geschichte?“- denn jeder von uns ist eine Biographie, eine Geschichte.“ Oliver Sacks, Neurologe
Die neunundsiebzigjährige gebürtige Dorstenerin Cordula Kahrmann erzählt uns ihre Geschichte.
Nur das erste Fünftel meines Lebens hat nicht in Münster stattgefunden. Das ist nicht viel, aber dennoch, wie bei vielen Menschen, eine Zeit, die im größeren Rest des Lebens ihre Spuren hinterlässt.
Münster war die Stadt, in der mein Vater als Arzt die Arbeit fand, die für ihn und seine vielen Patienten wie ein Segen war. Ich aber war inzwischen so weit, wenigstens rhetorisch, nicht mehr nur das Objekt elterlicher Raum- und Lebensentscheidungen sein zu wollen. Ich hielt meinen Eltern einen Vortrag. Mit 14 argumentierte ich:
Es wird schwarz gewählt, hat nur diese Pfütze, den Aasee und es wird nur verwaltet. Mein definitives Fazit: Wir ziehen in ein totes Nest im Landesinneren!
Nach Münster wollte ich nicht, wurde trotz meiner unwiderlegbaren Gründe nicht gefragt und bin September 1954 hier angekommen – um auf keinen Fall zu bleiben – und bin immer noch hier.
Cordula geht bei einem Glas Rosé auf Spurensuche, indem sie ihre Erinnerungen aus der Zeit vor Münster mit den Erfahrungen ihrer Münster-Zeit erzählend in einen Zusammenhang bringt. Die Schauspielerin Beate Reker füllt und bereichert Cordulas Geschichte mit poetischen Texten und Lena Symanzik füllt den Raum mit einer „lebendigen“ Fotoinstallation.
Regie: Andrea Noëmi Spicher // Spiel: Beate Reker, Cordula Kahrmann // Bühnenbild: Lena Symanzik
Andrea Noëmi Spicher
geboren 1991 in Brugg in der Schweiz, gastierte in den Jahren 2010 und 2011 am Theater Basel und am jungen Theater Basel. Von 2012–2016 absolvierte sie ihr Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Während des Studiums arbeitete sie unter anderem mit RegisseurInnen wie Annegret Hahn, Alexander Marusch, Johanna Schall und Aureliusz Śmigiel zusammen. Auf dem Theatertreffen deutschsprachiger Schauspielstudierender wurde 2015 die Hochschulproduktion eigenNICHTartig unter der Leitung von Romy Hochbaum mit dem Ensemblepreis ausgezeichnet.
Beate Reker
*1955 in Hamm (Westf.), freie Schauspielerin – 1985 Mitbegründerin des Theater im Pumpenhaus – bis jetzt in ca. 50 Inszenierungen und internationalen Koproduktionen mitgespielt – schreibt literarische Programme u.a. für das LWL-Museum für Naturkunde und liest für die Westfälische Blindenhörbücherei Münster.
Cordula Kahrmann
Dieser Text sollte eine „Vita“ werden, aber im Rückblick auf ein 78 Jahre langes, durchaus nicht langweiliges Leben konnte ich die Ausdehnung einfach nicht abschätzen. Also statt dessen sowas wie die „amtlichen Kennzeichen“: Akademische Rätin (Literaturwissenschaft) in Pension, verwitwet seit 23 Jahren, alleinlebend mit einem sehr grossen, heterogenen Freundeskreis. Den Zugang zu Musik,Theater und den anderen Künsten haben mir meine Eltern schon in der Kindheit eröffnet. Davon „lebe“ ich noch heute.